Mein erster Hund war da! Ich hatte ja noch keine Ahnung von Hundeerziehung, natürlich geht man in die Hundeschule und holt sich rat, liest diverse Bücher und schnappt überall sämtliche Informationen auf.
Man glaubt blauäugig was einem unterkommt, bzw. erzählt wird. Das Kernproblem beginnt aber, in der Hinterfragung. Und das ist das Stichwort: Hinterfragung! Kaum einer hinterfragt das Erzählte und Gelernte oder gar nur aufgeschnappte Halbwissen.
Ich war selbst so und habe nicht hinterfragt, sondern einfach geglaubt. Ich dachte tatsächlich, ich müsse meinen Hund unterwerfen, um ihn die Grenzen aufzuzeigen. Mein Hund durfte nur nach mir Essen, nicht aufs Bett, erst nach mir durch die Tür und ja sogar der „Alpha-Wurf“ ist geschehen.
Daher möchte ich heute mit euch die Dominanz hinterfragen und zum mitdenken anregen.
Wie ist das mit der Dominanz?
Schnell ist diese Diagnose „Dominanz“ beim Hund gemacht. Vor allem die „Angst-Dominanz“. Ich spreche jedoch lieber von Angst-Aggression. Muss der Hund also in seine Schranken eingewiesen werden? Ist der Mensch das Alphatier? Ist der Mensch Rudelführer? Wir wollen uns positionieren indem wir den Hund auf den Rücken werfen. Der Hund darf auf keinen Fall zuerst durch die Tür, nur der Ranghöchste hat dieses Privileg! Der Hund liegt auf dem Bett oder auf der Couch? Auf gar keinen Fall! Das würde dem Hund uns gleichstellen. Immer brav eine höhere Position als der Hund einnehmen. Der muss ja wissen, dass er rangniedriger ist. Der Hund darf nur dort liegen, wo der Mensch ihn haben will. Dabei stellt sich die Fragen: Darf denn ein Hund einen eigenen Willen haben?
Was leider noch viele Hundetrainer (wissend und unwissend) predigen, sollte endlich hinterfragt werden. Warum ist das so? Darf ich meinen Hund nicht als Familienmitglied gleichstellen? Das ist doch das erste wonach uns ist. Der Hund gehört zu unser Patchwork Familie. Einen Verband aus unterschiedlichen Arten. Mensch und Hund. Funktioniert das nicht?
Schauen wir uns zuerst einmal einige oft verwendete Begriffe und deren Definitionen an:
Dominanz und was Wikipedia dazu sagt:
„Unter Dominanz versteht man in der Biologie und in der Anthropologie (Menschenkunde), dass ein Individuum oder eine Gruppe von Individuen gegenüber einem anderen Individuum bzw. einer Gruppe einen höheren sozialen Status hat, worauf letzteres unterwürfig reagiert. Das Gegenteil von Dominanz ist Unterwürfigkeit.“
Die Psychologie definiert Dominanz wie folgt: „In der Psychologie spricht man von Dominanzverhalten, wenn ein Individuum das Verhalten eines oder mehrerer anderer Individuen beherrschen bzw. kontrollieren möchte.“
Außerdem findet man in der Biologie auch folgende Definition: „Dominanz-Hierarchien sind bei vielen Tieren einschließlich der Primaten und auch beim Menschen zu finden. Individuum A schränkt die Rechte und Freiheiten von Individuum B ein und gesteht sich selber diese Rechte und Freiheiten zu, was von B akzeptiert wird. Dominanz ist immer beziehungsspezifisch und ist zeit- und situationsabhängig.“
Aggression und was Wikipedia dazu sagt:
Oft wird Dominanz auch mit Aggression gleichgesetzt. So schlägt einem Wikipedia unter “Siehe auch” sofort einen Artikel über Aggression vor, wenn man “Dominaz” nachschlägt.
„Aggression, ist eine feindselig angreifende Verhaltensweise eines Organismus. Sie ist ein biologisch in Tieren und Menschen verankertes Verhaltensmuster zur Verteidigung oder Gewinnung von Ressourcen und zur Bewältigung potenziell gefährlicher Situationen. Diese ultimaten Ursachen werden beim Menschen durch proximate Ursachen in der Persönlichkeit oder der Umwelt ausgelöst, aktiviert oder gehemmt und durch verschiedene Emotionen motiviert“
Alphatier und was Wikipedia dazu sagt:
„Alphatier bezeichnet in der Verhaltensforschung das Leittier einer Herde oder eines Rudels. Alphatiere sind in der Regel die kräftigsten, erfahrensten und aktivsten Tiere der Gruppe. Häufig sind sie auch die ältesten und die einzigen Männchen ihrer Gruppe, die Nachwuchs zeugen“
Rudel und was Wikipedia dazu sagt:
„Rudel ist die umgangssprachliche Bezeichnung für eine geschlossene und individualisierte Gruppe von Säugetieren. Ein Rudel ist eine geschlossene Gruppe, weil die Mitglieder eines Rudels nicht beliebig austauschbar sind, und es ist eine individualisierte Gruppe, weil die Mitglieder der Gruppe sich untereinander erkennen. Im Unterschied dazu beschreibt die Herde einen anonymen Zusammenschluss von Tieren. Es gibt in Rudeln oft eine Rangordnung und eine gewisse Arbeitsteilung.“
Welche Schlüsse können wir nun daraus ziehen?
Dominanz bedeutet: man unterwirft mit mehr oder minder aggressivem Verhalten das Gegenüber. Uff, das hört sich nicht mehr so schön an wie bei den (TV-)Hundetrainern, die gerne vom Alphatier oder Rudelführer sprechen und uns weismachen, man müsse dominant gegenüber unseren Hunden sein. Denn aggressiv möchte ich ja nicht zu meinem Hund sein. Oder? Die Frage lautet hier: “Bin ich es denn schon unbewusst?”
Kommen wir zum Alphatier: dem Nachwuchs zeugendem, kräftigsten, erfahrensten und aktivsten Tier in der Gruppe. Können wir Menschen tatsächlich ein Alphatier sein? Wobei man sich zu aller erst fragen sollte, warum man als Mensch ein Tier sein will. Liest man sich obigen Absatz durch, sollte man bemerken, dass man die Voraussetzungen eines Alphatiers doch gar nie erfüllen kann. Erfahren? Kräftig? Womöglich. Nachwuchs zeugend? Ich hoffe niemand kommt in Versuchung, Nachwuchs mit seinem Hund zu zeugen. Das wäre ethisch absolut verwerflich und noch dazu gesetzlich strafbar!
Die Sache mit der Rangordnung
Ja, richtig gelesen, es gibt eine Rangordnung unter Tieren und im Rudel! Huch also doch? Jein. Es gibt sie, aber nicht so wie wir uns das vorstellen.
1802 wurde von Pierre Huber erstmals eine Rangordnung unter Hummeln entdeckt. Im Jahr 1922 griff Thorleif Schjelderupp-Eldes die Hummelergebnisse auf und untersuchte das Sozialverhalten von Hühnern. Dort beobachtete er die sogenannte Hackordnung beim Picken von Körnern. Ausgehend von den Hühnern versuchte man die Hackordnung auf andere Tiere zu übertragen. 1922 beobachtete man ein Wolfrudel, wobei die heute bekannte, sich hartnäckig haltende Rangordnung der Wölfe entstand.
Dazu sei gesagt, dass es sich hier um Wölfe handelte, die in Gefangenschaft, in viel zu kleinen Gehegen und unter Langeweile und Bewegungsmangel leidend gehalten wurden. Hinzu kam, dass das „Rudel“ aus bunt zusammengewürfelten Individuen bestand. Man kann sich gut vorstellen, wie groß dieses Leid dieser Wölfe war, die nicht hin wussten mit Ihrer Energie. Eine explosive Grundstimmung. Vergleichbar mit Zuständen in Gefängnissen. Wenn man jetzt ein Stück Fleisch in dieses Gehege wirft, ist es dann verwunderlich, wenn ein erbitterter Kampf darum entsteht? Und natürlich gewinnt der Stärkste. Der “Alphawolf” war geboren und wurde schnell auf unseren Haushund übertragen.
Zum Glück wurde 1999 von David Mech (der übrigens Mitbegründer der damaligen Dominanztheorie war) die Ergebnisse von damals revidiert. Er beobachtete Wölfe und Caniden (=Hundeartige) in Freiland. Dabei kam er zu dem Schluss, dass es sich bei einem typischen Wolfsrudel um eine Familie handelt, in der die erwachsenen Elterntiere die Arbeitsteilung anführen. Sie leiten diese Gruppe liebevoll und konsequent. Natürlich verteidigen die Wölfe auch ihr Futter, denn sonst würden Raben oder andere Tiere ihnen dieses klauen. Aber die Elterntiere fressen nicht zuerst und liegen auch nicht bewusst erhöht. Bei der Jagd wechseln sich Jung und Alt ab. Die Eltern agieren als Vorbilder. Wer sich davon überzeugen möchte, setze sich mal bewusst hin und schaut eine Tierreportage. Dort kann man dieses Verhalten gut beobachten ohne selber in die Wildnis zu müssen.
Warum also hängen wir Menschen so an dem zuerst entdeckten, eigentlich falsch beobachteten Rangordnungssystem? Sind wir Menschen nicht fähig ordentlich hinzuschauen? Oder gefällt uns einfach die Idee vom Alpha? Von Macht und Überlegenheit? An wen oder was können wir heutzutage noch unser Machtbedürfnis ausleben in unserer Gesellschaft? Auf der Arbeit gilt Sozialkompetenz. Zuhause ausleben ist indiskutabel. Gewalt in der Familie glücklicherweise ein No Go. In der alltäglichen „Hackordnung“ sind es viel zu oft die Tiere die leiden und hinhalten müssen. Und ich rede hier nicht von richtiger Gewalt mit Schlägen, sondern psychischer Gewalt durch Machtgehabe des Menschen.
Natürlich gibt es auch Dominanz unter Hunden. Ja! Aber Dominanz ist keine Eigenschaft wie Fellfarbe, Augenfarbe, groß oder klein. Es bezieht sich immer auf die Beziehung zwischen zwei Lebewesen. Eine Dominanzbeziehung liegt vor, wenn einer der Beteiligten regelmäßig und vorhersehbar seine Interessen gegenüber den Anderen durchsetzen kann, ohne dafür direkte körperliche Gewalt anwenden zu müssen. Das kann man gut in einem mehr-Hundehaushalt beobachten. Als Beispiel: Hund A liegt gern am Ofen und verteidigt mit Blicken diesen Platz gegenüber Hund B und C. Diese akzeptieren dies. In diesem Fall ist Hund A dominant gegenüber Hund B und C. Gleichzeitig ist im selben Haushalt Hund C dominant gegenüber Hund A und B, wenn es ums Fressen geht. Er verteidigt seine Ressourcen. Die anderen Hunde im Haushalt respektieren diese Tatsache. Alle drei Hunde leben harmonisch zusammen. Liebevoll im Umgang miteinander und konsequent in ihrer Ressourcen-Verteidigung.
James O´Heare hat ein Buch über Dominanz geschrieben und dabei 13 unterschiedliche Definitionen von Dominanz gefunden. Es gibt also mehr als nur die Dominanz. Günter Bloch hat z.B. folgende Definition hervorgebracht: „Dominanz ist eine dauerhafte Beziehung, in der ein Individuum stets seine Privilegien ohne Aggression erfolgreich einfordern kann, aber nicht muss.“ Unter diesem Wissen betrachtet gilt die Dominanz unter Hunden als normales Verhalten, die keine erzieherischen, geschweige denn aggressive Maßnahmen erfordert.
Warum also glaubt der Mensch, einen Hund mit aggressiven Verhaltensweisen unterwerfen zu müssen? Will der Mensch dauerhaft seine Privilegien durchsetzen? Für den Hund wären Ressourcen wie Liegeplatz, Futter oder Spielzeug Privilegien, nicht aber Verhalten. Der Mensch denkt, er kann mit der Unterwerfung des Hundes, dessen Verhalten ändern. Der Hund versteht diese Art von Sprache aber nicht, weil er unter Dominanz etwas ganz anderes versteht! Warum also tun wir Menschen unseren Hunden sowas an? Diese verstehen nur die Gewalt dahinter, wenn sie auf den Rücken geworfen werden. Das hilft vor allem nichts bei Angst-Aggression, da es die Angst zusätzlich verstärkt.
Um auf mich selber zurückzukommen, mein Hund hat mir all dieses schlechte Verhalten ihm gegenüber verziehen, weil er mich bedingungslos liebt. Ich habe leider erst viel zu spät angefangen zu hinterfragen, ob dies wirklich die richtige Methode war. Jetzt verstehen wir uns gegenseitig viel besser. Ganz ohne Dominanzverhalten und „Alpha-Gehabe“.
Wir arbeiten bei Wedelwerk lieber mit positiver Verstärkung und liebevoller und konsequenter Erziehung. Wir sind nicht Rudelführer. Wir nehmen die Rolle der Erziehungsberechtigten ein. Man könnte uns auch als Adoptiveltern bezeichnen. Denn wir sind niemals biologische Eltern oder gar ein wahres Rudelmitglied. Wir bilden kein Rudel mit unseren Hunden, wir sind eine Patchwork-Familie. Unsere Hunde arrangieren sich mit unseren Lebensweisen und wir helfen ihnen dabei.
Kooperieren statt dominieren
„Menschen und Wölfe sind wahrscheinlich unter allen Tieren unserer Welt am stärksten auf Kooperation ausgerichtet.“
-Kurt Kotrschal, 2016-
Literaturempfehlung
Bradshaw, John WS, Emily J. Blackwell, and Rachel A. Casey. “Dominance in domestic dogs—useful construct or bad habit?.” Journal of Veterinary Behavior: Clinical Applications and Research 4.3, 2009: 135-144.
Bradshaw, John. Hundeverstand. Kynos Verlag, 2012.
Eaton, Barry. Dominanz-Tatsache oder fixe Idee?. Animal-Learn-Verlag, 2003.
O’Heare, James, and Martina Scholz. Die Dominanztheorie bei Hunden: eine wissenschaftliche Betrachtung. Animal-Learn-Verlag, 2005.
Mech, L. David. “Alpha-Status, Dominanz und Arbeitsteilung in Wolfsrudeln (Canis lupus), 1999.”
Riepe, Thomas. Herz, Hirn, Hund: Expertenmeinungen zur modernen Hundeerziehung. Animal-Learn-Verlag, 2012.
Kotrschal, Kurt. “Hund & Mensch.” Das Geheimnis unserer Seelenverwandtschaft. Wien: Christian Brandstätter Verlag, 2016.